Die Liebe in Zeiten des Corona

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In Anlehnung an „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ von Gabriel Garcia Marquez. Und jawoll, das ist ein Buch. Wenn Du noch keins in der Hand hattest, wäre momentan doch die beste Gelegenheit dazu.. oder stell Dir eins ins Regal, ist sehr dekorativ! Im Übrigen lassen sich Bücher auch gut als Sitzerhöhung benutzen, falls man zu klein geratenen Besuch bekommt oder man baut sich Regale daraus oder spendet sie ins Altpapier, das gerade dringend nötig ist für die Herstellung von Toilettenpapier. Aber nun zur Geschichte.

Hermann war für sein Gewicht etwas zu klein geraten, hatte Segelohren und zu seinem eigenen Unglück sehr spärlichen Bartwuchs. Wie gerne hätte er mit einem Dreitagebart geprotzt, hieß es doch, dass die Frauen auf so etwas stünden. Dabei interessierten ihn die Frauen im Allgemeinen gar nicht, Marina war es, für die sein Herz schon seit Jahren schlug. Marina war keine Schönheit im klassischen Sinne, aber sie hatte das gewisse Etwas, das jedes Mal ein Kribbeln in seinem Bauch verursachte, sobald Hermann sie auch nur aus der Ferne sah.

Es war im Frühling 1970, als sie sich das erste Mal begegneten, es war warm und Hermann hatte einen ausgiebigen Spaziergang hinter sich als er ein kleines, gemütlich wirkendes Café erblickte und beschloss, einen Kaffee und ein Sandwich zu sich zu nehmen. Er hinterließ eine Spur beim Hineingehen, zu gerne wanderte er querfeldein und die Erde manch eines Feldes haftete noch an seinen Schuhen. Er bestellte sich einen großen Kaffee mit viel Milch und begab sich zunächst zur Toilette. Als er zurückkam, stand der heiße Kaffee bereits auf seinem Tisch und Hermann lief schnell darauf zu, sich wundernd, warum sich alle zu ihm umwandten, da hörte er ein besonders angenehmes, glucksendes Lachen, welches hinter ihm vom Nachbartisch kam. Er drehte sich um und erblickte das in seinen Augen schönste Wesen der Welt. Ihre Augen strahlten und sie zeigte einen wohlgeformten Mund mit weißen, nicht ganz geraden Zähnen.

Lange konnte Hermann den Blick nicht von ihr wenden und als er es endlich dennoch tat, fiel ihm auf, dass sie über ihn lachte. An seiner Schuhsohle klebte Klopapier, er hatte ohne es zu bemerken durch das halbe Café geschleppt und dabei die Rolle abgewickelt so dass sich eine Klopapierspur durch den halben Laden zog. Erstaunt sah Hermann zu, wie Marina ganz selbstverständlich aufstand, das Papier einsammelte, es in den Müll stopfte und nach kurzem Händewaschen an seinen Tisch kam. Ganz selbstverständlich setzte sie sich zu ihm, immer noch lachend und er konnte den Blick kaum von ihr wenden. Schließlich bestellte er ihr einen Kaffee und sie stellten sich einander vor. Die folgenden Stunden saßen sie nur da, erzählten und lachten gemeinsam und als sie das Café verließen, liefen sie Hand in Hand bis zur Bushaltestelle, und als Marina in den Bus stieg, besaß er ihre Telefonnummer.

In den folgenden 2 Jahren trafen sie sich regelmäßig, man kann fast sagen sie waren ein Paar. Hermann war verliebt bis über beide Ohren und Marina schien es auch zu sein. Es war die bislang glücklichste Zeit in seinem Leben, auch wenn sie feststellen mussten, dass Hermann Marina nicht das Leben würde bieten können, das sie sich erträumte. Er war ein einfacher Arbeiter und Marina träumte von einem großen Haus mit Blick auf das Meer, von Partys und vor allem einem eigenen Reitstall, denn Pferde waren ihre große Leidenschaft. Und so kam es, dass sie ihm eines Tages eröffnete, sie werde den Staranwalt Soundso heiraten und ins entfernte Lübeck ziehen. Für Hermann brach eine Welt zusammen und es dauerte einige Jahre, bis er außer zum Arbeiten oder Einkaufen seine Wohnung wieder verließ. In dieser Zeit telefonierte er wöchentlich mit Marina und sie redeten stundenlang, aber es war nicht wie vorher. Auch als es ihm langsam wieder besser ging hielten sie den Kontakt lange aufrecht und als sie aufhörten zu telefonieren, schrieb er ihr Liebesbriefe. Erst per Post, später als Email. Sie hatten sich all die Jahre immer noch viel zu erzählen.

Es war im März 2020, als sich das Leben für alle schlagartig änderte. Hermann war inzwischen weit über 70 und lebte einigermaßen zufrieden mit seiner Rente vor sich hin. Durch den Corona-Virus wurde das Leben plötzlich eingeschränkt, er durfte seine wenigen, noch lebenden Freunde nicht treffen und nur noch in dringenden Fällen das Haus verlassen. Es machte ihm nicht so viel aus, war er doch schon geübt darin aus der Zeit seines Liebeskummers. Trotzdem musste er sich versorgen und so fuhr er zum Supermarkt zum Einkaufen, immer schön auf Abstand zu den Mitmenschen bedacht.

Natürlich war es wieder das Klopapier, das alles ins Rollen brachte. Hermann griff gerade nach der letzten vorhandenen Packung, da kam von der anderen Seite eine Hand und riss es ihm fast aus den Händen. Die Packung zerriss und das Klopapier rollte über den Boden, eine Spur auf diesem bildend.

Hermann hörte ein vertrautes, glucksendes Lachen und musste mitlachen, so laut, dass der Supermarkt zu beben schien. Die Leute drehten sich um und lachten mit. Wie sehr hatte man in diesen Zeiten so ein Gelächter vermisst! Aber Marina und er fielen sich in die Arme und gaben sich -endlich- nach fast 50 Jahren wieder den ersten, leidenschaftlichen Kuss. Dann sammelten sie das Klopapier ein, bezahlten und gingen zu ihm, wo Marina auch blieb. Was sie dort taten? Geht euch nichts an, aber die begonnene Liebesgeschichte kann hier endlich vollendet werden. Man sah die Beiden nie wieder.

Marinas Mann war erst kürzlich verstorben, glücklich war sie nicht geworden. Erst als sie Hermann wiedertraf, wusste sie, was ihr all die Jahre gefehlt hatte. Und nun hatte ausgerechnet der Virus, der so viele Menschen tötete, sie wieder zusammengebracht. Und das Klopapier.

Geht sparsam damit um, verlernt nicht das Lachen und bleibt gesund.

Eure Thorn